Politischer Bericht & Video: Die Proteste gegen den G7-Gipfel in Elmau

Der G7 Gipfel ist vorbei. Tausende Demonstrant:innen haben in München und Garmisch-Partenkirchen gegen den Gipfel der Herrschenden protestiert. Auch wir haben uns an der Mobilisierung beteiligt. Hier ist die Auswertung von Perspektive Kommunismus.

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Beginnend einige Punkte, die wir für wichtig halten, um die politische Dimension und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Proteste insgesamt einzuordnen.

1. Die sich offen verschärfende ökonomische Krise des Kapitalismus und der Krieg in der Ukraine können nicht nur als Anzeichen für eine neue Phase härterer Klassenauseinandersetzungen und kapitalistischer Konkurrenzkämpfe gedeutet werden. Sie sind auch Ausgangspunkt für eine ideologische Offensive, mit der das bürgerliche Lager die Bevölkerung für eine kompromisslosere Politik der nationalen Interessendurchsetzung zu sammeln versucht. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen unserer Klasse werden immer stärker und direkter angegriffen, diffuser Unmut und das objektive Potenzial für soziale Protestbewegungen und eine Verbreiterung klassenkämpferischer Aktivitäten wächst – und dennoch überlagert aktuell eine starke und moralisch aufgeladene Ideologie zur „Verteidigung westlicher Freiheit und Werte“ gegen den „russischen Feind im Osten“ jedes größere Konfliktpotenzial. Die Herstellung des Zusammenhangs von Krieg, Krise und Kapitalismus und eine entsprechende Protestpraxis, die den Klassenwiderspruch und internationale Klassensolidarität in den Fokus rückt, wird in dieser Blockbildung schnell zu „russischer Feindpropaganda“ gemacht. Die klassenübergreifende Mobilmachung gegen Außen, die von weiten Teilen der Bevölkerung bis hinein in fortschrittliche und linke Kreise mitgetragen wird, wirkte sich so – wenig verwunderlich – auch schwächend auf den G7 Protest aus, dessen Zielrichtung entgegengesetzt ist: Der in erster Linie vor der eigenen Haustüre kehrt und eben die Kritik an den politischen und ökonomischen Eliten im eigenen Land und der globalen Vormachtstellung des „eigenen“ Blocks im Fokus hat.

2. Es wäre natürlich keine Option gewesen im Angesicht dieser Schwierigkeiten den Kopf in den Sand zu stecken. Einerseits nimmt gerade jetzt eine internationalistische Mobilisierung, die sich vor allem gegen den deutschen Imperialismus richtet, eine wichtige Sammlungsfunktion ein und ist in gewissem Maße auch Gradmesser für die Situation der deutschen Linken. Andererseits beinhaltete die Protestmobilisierung noch weitere Perspektiven auf die G7-Politik: Der Widerstand gegen die imperialistische Ausbeutung lateinamerikanischer und afrikanischer Staaten durch die G7 und gegen ihre Rolle als globaler Motor kapitalistischer Klimazerstörung haben von Beginn an Raum in den Bündnismobilisierungen eingenommen, während die Komplizenschaft der G7-Staaten beim türkischen Vernichtungskrieg gegen die kurdische Bewegung zu einem wichtigen Ausdruck des antikapitalistischen Blocks gehörte.

3. Linke Teile der Klimabewegung, ein aktiver aber kleiner Kern aus dem Spektrum der Friedensbewegung und organisierte Teile der klassenkämpferisch-revolutionären Linken haben sich aktiv an der Gipfelmobilisierung beteiligt. Auffallend war die Abwesenheit von bewegungsorientierten Teile der radikalen Linken, die in der Vergangenheit durchaus mit Mobilisierungsstärke, Dynamik und antikapitalistischer Symbolik in ähnlichen Mobilisierungen gewirkt haben – inwieweit das nicht nur eine pragmatische Entscheidung war (räumliche Entfernung, Kapazitäten), sondern von widersprüchlichen Positionierungen zum Ukraine-Krieg (z.B. in der Frage der Waffenlieferungen) und der Frage der gemeinsamen politischen Handlungsfähigkeit abhing, wäre eine für die gesamte Linke wichtige Diskussion.

Das Zusammenkommen verschiedener, teils auch politisch eher diffuser Spektren am Gipfelwochenende, die sich gegen weltweiten Hunger und Armut, imperialistische Kriegslogik und gegen die profitgetriebene Zerstörung des Planeten wendeten, kann aktuell zwar kein Zeichen von Stärke oder Ausgangspunkt für größere Bewegung sein – das hat schon die verhältnismäßig geringe Teilnehmer:innenzahl bei den Protesten gezeigt. Es bleibt aber ein wichtiger Rahmen, um den revolutionären Bruch mit der kapitalistischen Ordnung auf die Agenda zu setzen und als handlungsfähiger Teil der Linken greifbar zu sein. Die in breiten Bündnisaufrufen und zentralen Reden formulierten Protestnoten und Forderungen an die Herrschenden haben gerade in diesen Tagen wenig Aussicht überhaupt von irgendwem vernommen zu werden. Ähnlich ergebnislos werden auch die Rufe nach Gerechtigkeit für die am schwersten Betroffenen vom G7-Imperialismus verhallen, solange sie sich nicht in Strategien und konkrete Verbindungslinien für gemeinsame Kämpfe niederschlagen. In einer Situation also, in der der Reformismus schwach und Widerstände (noch) zersplittert sind, kann eine organisierte revolutionäre Strömung als ernstzunehmender und konkreter Orientierungspunkt ins Spiel kommen – sofern sie es versteht sich klar zu positionieren und dabei nicht losgelöst von ihrem politischen Umwelt zu agieren.

Die Proteste

(Wir können hier nur auf die Teile des Protests eingehen, an denen wir selber Anteil hatten. Das Protest-Camp in Garmisch-Partenkirchen und auch die kleineren aber stark internationalistisch geprägten Proteste in Hör- und Sichtweite von Schloss Elmau gehören nicht dazu. Fakt ist, dass sie sowohl die Ernsthaftigkeit des Protests, als auch die faktische Aushebelung von Grundrechten im Rahmen des Bulleneinsatzes unter Beweis gestellt haben)

Zusammenkunft revolutionärer Genoss:innen

Nicht nur die Herrschenden kamen beim G7-Gipfel zusammen, zeigten gemeinsame Stärke und rüsteten sich für den weiteren Klassenkampf von oben. Zu den Gegenprotesten sind revolutionäre Gruppen bundesweit angereist, haben gemeinsam Erfahrungen – auch in der Konfrontation mit dem Staatsapparat – gesammelt und sich ausgetauscht.

Auch abseits der Aktionen kamen Genoss:innen aus der ganzen Bundesrepublik und darüber hinaus zusammen, konnten sich bei gemeinsamen Treffpunkten begegnen, austauschen und inhaltlich diskutieren. Gelegenheit dazu war zum Beispiel bei einem Vortrag von uns unter dem Titel „Antiimperialismus Heute – Kontinuitäten und Brüche“, der am Samstag Abend in München vor einer großen Zahl von Zuhörer:innen stattfand.

Demonstration am 25. Juni in München

Die als Großevent angekündigte Demonstration am Samstag in München fiel um ein Vielfaches kleiner aus, als von den Veranstalter:innen, einem breiten Bündnis von NGO‘s, erwartet. Statt der angekündigten 20.000 versammelten sich lediglich um die 6.000 Menschen unter dem Motto „Gerecht geht anders“ auf der Theresienwiese. Es liegt Nahe, dass das mit der geopolitischen Polarisierung im Allgemeinen, sowie mit der Schwäche der Friedensbewegung im Besonderen zu tun hat. Was sicher auch ins Gewicht fällt, – und das nicht nur bei dieser Mobilisierung – ist die starke Tendenz dahin, größere politische Bündnisse und Mobilisierungen weniger durch die aktive politische Einbeziehung von Strukturen und Aktivist:innen zu entwickeln, sondern vor allem durch die Funktionärsapparate einzelner NGO‘s. Dass es dabei zu Reibung zwischen der Bewegung bzw. aufrichtigen Aktivist:innen und reformistischen Apparaten kommt, ist aber gleichzeitig eine Bruchstelle, die wieder Gegentendenzen ermöglichen kann.

Der antikapitalistische Block war mit über 1000 Teilnehmer:innen ein prägender und unübersehbarer Teil der Demonstration, auch Dank eines riesigen Banners mit der Aufschrift „Imperialismus beginnt hier, bekämpfen wir ihn.“ Zum Abschluss und als Reaktion auf Bullenangriffe wurde der Block von der Hauptbühne aus explizit begrüßt und ein klares Statement der Solidarität ausgesprochen. Ein riesiges, vor allem für den Block bereitgestelltes, Bullenaufgebot hat die Handlungsspielräume zwar verringert, konnte aber nicht verhindern, dass ein Banner-Drop am Rand der Demo stattfand und Pyrotechnik gezündet wurde. Ein Grußwort von Riseup4Rojava wurde mit einer Luftballonaktion in kurdischen Farben untermalt. Kurz vor dem Ende der Demo nahmen die Bullen in einer Blitz-Aktion einen Ordner fest. In der Folge gab es eine Auseinandersetzung, bei der der Block an verschiedenen Stellen angegriffen wurde, sich im Gesamten aber verteidigen konnte. Mehrere Aktivist:innen wurden nach der Demo-Auseinandersetzung gezielt festgenommen, eine Person wurde bis Montagmittag in Unterbindungsgewahrsam einbehalten.

Demonstration am 26. Juni in Garmisch-Patenkirchen

Insgesamt versammelten sich über 1000 Menschen unter dem Motto „Globale Gerechtigkeit! Klima schützen statt Aufrüsten“ am Sonntag, den 26. Juni in Garmisch. Das Demoprogramm legte einem Schwerpunkt auf die Auswirkungen des G7-Imperialismus auf die kapitalistische Peripherie, was mit internationalen Redner:innen u.a. aus Uganda und einem internationalen Frontbereich zum Ausdruck gebracht wurde. Auch hier war der antikapitalistische Block mit rund 500 Aktivist:innen verhältnismäßig gut vertreten, stimmungsvoll und gut organisiert. Zusammen mit anderen, ebenfalls antikapitalistisch ausgerichteten Bereichen, prägte das auch die politische Wirkung der Demo im Gesamten stark. Der Preis für den symbolischen Punkt, in relativer Nähe zum Gipfeltreffen zu demonstrieren, war in Gesamten betrachtet aber grenzwertig hoch: Um überhaupt in die Nähe des Alpenorts zu kommen wurden Teilnehmer:innen durch Kontrollstationen der Bullen geschleust, oder mussten sogar Anreisen mit durchgehender Bullenbegleitung über sich ergehen lassen. Das herausgeputzte Garmisch selbst wurde schon Monate zuvor von Bullen besetzt, was der Demo eher den Charakter eines Schaulaufens im Feindesland gab. Trotzdem konnte das Zünden von Rauch in Gelb-Rot-Grün (den Farben der kurdischen Freiheitsbewegung) im antikapitalistischen Block durchgesetzt und einzelne kreative Akzente gesetzt werden.

Bulleneinsatz und Repression

18 000 Bullen aus der gesamten BRD wurden nach Bayern verlegt, tausende Gullideckel verschweißt, ein 16km langer Sicherheitszaun gebaut, Straßen abgesperrt und provisorische Knäste gebaut. Bayern hat sich schon früh auf das Prestige-Event vorbereitet. Durch den massiven Einsatz, für den im Gesamten 147 Millionen Euro vorgesehen waren, sollte nicht nur ein Drohszenario aufgebaut und die Proteste delegitimiert werden. Es ging auch darum international aufzuzeigen, wie und in welchem Maße man sich gegen aufkommende Protestbewegungen zur Wehr setzen kann und wird.

Etliche Zivibullen, die in den Demos positioniert werden sollten und schon in der Vorbereitungszeit mit offenen Observationen und der Verfolgung von Aktivist:innen aufgefallen sind, haben das Konzept der vermeintlichen totalen Kontrolle der Staatsmacht abgerundet.

Folgerungen

Ein Blick zurück: Die Ende der 90er Jahre entstandene Anti-Globalisierungsbewegung, die sich vor allem an den zerstörerischen Folgen Neoliberalismus in der kapitalistischen Peripherie entzündet hat, ist nicht mehr vorhanden. Sie hat die Gipfeltreffen der Imperialisten und ihrer Strukturen (WTO, IWF, Weltbank, G8…) einige Jahre lang zu symbolträchtigen Orten des Widerstands gemacht: internationale Vernetzung, politische Debatte und insbesondere eine starke militante Praxis waren prägend. Ohne den Niedergang dieser Dynamiken an dieser Stelle länger ausführen zu wollen, lässt sich doch eines festhalten: Die Krisenerschütterung 2008/2009, die aufflammenden Kämpfe gegen die Staatsschuldenkrisen 2010/11 in Südeuropa und auch die Aufstände im arabischen Raum und Nordafrika haben die Entstehung und die Handlungsfelder für antikapitalistische Bewegungen von der symbolischen Ebene wieder stärker ins Konkrete verlagert. Heutige Gipfelproteste können also nicht an die Hochzeiten der Bewegung heranreichen oder an ihnen gemessen werden. Trotzdem haben sie eine nicht zu unterschätzende Bedeutung:

  • durch die Stärke und konkrete Solidarität, die in den Protest-Zusammenkünften der linken Bewegung zumindest kurzzeitig entstehen,
  • durch die Möglichkeiten einer konzentrierten, vielschichten Praxis, sowohl Demonstrationen, als auch grenzüberschreitende Massenaktionen und militante Akzente
  • dadurch, dass sich die Systemfrage im Widerstand gegen kapitalistische Weltpolitik unmittelbar stellt
  • und dadurch, dass internationale Zusammenhänge der Kapitalseite und der Widerstands hier recht plastisch werden.

Politische Mobilisierungen können in diesem Sinne also auf jeden Fall wertvoll sein.

Aber: Der Aufbau einer klassenkämpferischen Bewegung und revolutionären Linken wird auch weiter in erster Linie davon abhängen, in den konkreten politischen und sozialen Kämpfen mit dem Blick auf die gemeinsamen Interessen der Arbeiter:innenklasse zu wirken. Sie zu verstehen, Organisierungen zu entwickeln und Möglichkeiten der Radikalisierung zu entdecken. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Politisierung der Klassenwidersprüche, sich auch in Zukunft wieder in größerem Maße an den symbolischen Meetings der Mächtigen entladen. Dafür steht aber erst einmal an, Möglichkeiten und Ansätze zu entwickeln, den schwelenden Unmut gegen den gesteigerten Klassenkampf von Oben – gegen die Teuerungen und die noch kommenden materiellen Einschnitte – in revolutionäre Politik und praktisches Handeln zu verwandeln.