Veröffentlicht von Perspektive Kommunismus
Der Machtwechsel in der Ukraine hat zu einer umfassenden politischen Krise geführt: Im Osten des Landes tobt ein Bürgerkrieg, der Nationalismus steigt und die Faschisten gewinnen immer weiter an Einfluss – im politischen System wie auf der Straße. Gleichzeitig ruft die Regierung um den neuen Präsidenten Poroschenko Parlamentsneuwahlen aus, um auch die letzten Gegner des neuen Kurses aus dem Parlament zu drängen. Und auch hierzulande schlägt sich der Interessenskonflikt zwischen den westlichen imperialistischen Ländern und Russland in einer immer stärkeren Kriegsrhetorik nieder.
Begonnen hat alles mit den Protesten gegen die Regierung des korrupten Präsidenten Janukowitsch im Dezember 2013. Diese entzündeten sich an der Ablehnung des sogenannten EU-Assoziierungsabkommens durch den mittlerweile gestürzten Präsidenten Janukowitsch. Dem lag die illusorische Hoffnung zugrunde eine Annäherung an die EU würde die katastrophale soziale Lage, in der sich ein Großteil der ukrainischen Bevölkerung befindet, beheben. Dennoch, reale Gründe auf die Straße zu gehen und auch die Absetzung der Regierung Janukowitsch zu fordern gab (und gibt) es genug…
Ukraine: ein Land in Armut und Perspektivlosigkeit
Die Ukraine ist mit über 600.000 km² das zweit größte Land Europas. Armut, schlecht bezahlte Jobs und fehlende Sozialsysteme sorgen für eine weite Unzufriedenheit der Menschen mit der herrschenden Politik.
Seit Beginn der Weltwirtschaftskrise 2008 ist der Durchschnittslohn in der Ukraine auf 300 US-Dollar gesunken. Gleichzeitig sind die Lebenshaltungskosten – vergleichbar mit den westlichen EU-Staaten – konstant geblieben. Aufgrund der Entwicklung innerhalb der vergangenen Jahre mussten große Teile der ukrainischen Bevölkerung tiefgreifende wirtschaftliche und soziale Einschnitte hinnehmen.
Laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) liegt die Arbeitslosenquote bei 8 Prozent, d.h. 1,6 Millionen Menschen sind von Arbeitslosigkeit betroffen (Stand 2013). Doch die wirtschaftliche und soziale Lage in der Ukraine ist noch wesentlich dramatischer: 90 Prozent der Bevölkerung leben in Armut, es gibt keine staatliche Krankenversicherung und die durchschnittliche Lebenserwartung für Männer liegt bei 63 und für Frauen bei 73 Jahren (Zum Vergleich: In Deutschland sind es 78 bzw. 83 Jahre). Jedes Jahr gibt es in der Ukraine unzählige Kältetote, weil viele Menschen nicht in der Lage sind ihre Strom- und Gasrechnungen zu bezahlen.
Viele UkrainerInnen sind daher gezwungen das Land zu verlassen und in Russland, Polen oder Italien im Niedriglohnsektor zu arbeiten. Gleichzeitig floriert die Korruption und die Oligarchen kontrollieren weite Teile der Medien und des politischen Betriebs. Die 100 reichsten Ukrainer besitzen nach Angaben des ukrainischen „Forbes“ 37,5% des BIP (Zum Vergleich: In den USA sind es 6,6Prozent). Janukowitsch selbst ließ seinem Sohn ein Vermögen von geschätzten 600 Millionen US-Dollar zukommen.
Aus all diesen Gründen hatte der Maidan-Protest zu Beginn also durchaus seine Berechtigung. Von Anfang an, wurde die legitime Wut über die sozialen Missstände und die korrupte Regierung Janukowitschs aber vom positiven Bezug auf die EU und nationalistischen Tönen ergänzt und überlagert. Aktiv unterstützt und vorangetrieben wurde dies von neoliberalen, den westlichen imperialistischen Ländern nahestehenden Kräften, sowie bald auch offen faschistischen Organisationen.
Nazis, Klitschko und die CDU
Schnell kristallisierten sich die drei politischen Hauptakteure auf dem Maidan heraus, Klitschkos Partei „UDAR“ (Schlag), die „Vaterlandspartei“ der Oligarchin und ehemaligen Regierungschefin Timoschenko, sowie die beiden offen faschistischen Organisationen „Swoboda“ und „Rechter Sektor“.
Dabei vertritt „UDAR“ – die eigentlich „Ukrainische demokratische Allianz für Reformen“ hießt, abgekürzt aber einfach „Schlag“ bedeutet – am offensichtlichsten EU- und insbesondere deutsche Interessen. Kein Wunder, die Partei wurde seit ihrer Gründung politisch von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung beraten und wohl auch relativ direkt aufgebaut. So behauptete der für die Stiftung tätige CDU-Politiker Werner Jostmeier, Witali Klitischko sei von dieser „beauftragt“ worden, „in der Ukraine eine christlich-konservative Partei unterstützend mit auf die Beine zu stellen und zu etablieren.“ Anders als anfangs in deutschen Medien gerne behauptet, blieb der Einfluss der Klitschko-Partei innerhalb der Maidan-Bewegung aber ziemlich begrenzt. Die Gründe dafür lagen nicht zuletzt in der schlechten lokalen Verankerung und der politischen Unerfahrenheit Klitschkos.
Eine ähnlich starke EU-Bindung vertritt die „Vaterlandspartei“ der ehemaligen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko. Die Partei die als Siegerin aus der sogenannten „orangenen Revolution“ im Jahr 2004 hervorging, vertritt ebenfalls ein streng neoliberales Programm, bedient sich dabei aber einer deutlich nationalistischeren Rhetorik. Schon zu Zeiten Timoschenkos strebte sie den Beitritt der Ukraine in EU und NATO an.
Allerdings gelang es auch dieser Partei nicht die Protestbewegung – die sich ihrem Selbstverständnis nach, ja gegen die Korruption der Eliten positioniert – vollständig zu vereinnahmen. Schließlich ist auch Timoschenko als Oligarchin bekannt und war nach ihrer Abwahl wegen Korruption im Amt verurteilt worden. Und auch wenn ihr Nachfolger Janukowitsch sich mit dem Urteil gleichsam einer unliebsamen Konkurrentin entledigt haben mag, scheinen diese Vorwürfe doch auch in der Bevölkerung weitgehend Glauben zu finden. Ebenso wie die Anklage zur Beihilfe am Mord des Abgeordneten Schtscherban der 1996 zusammen mit seiner Frau am Flughafen von Donezk erschossen wurde. Timoschenkos auf mehrere hundert Millionen Dollar geschätztes Privatvermögen, dessen Herkunft weitgehend ungeklärt ist, trug sicher ebenso zum Misstrauen gegen sie und ihre Partei bei. Viele UkrainerInnen halten Timoschenko – nicht zu Unrecht – für eine korrupte und fanatische Oligarchin und lehnen sie damit klar ab.
So kam die Schlüsselrolle in den Protesten sehr schnell den Faschisten der „Swoboda“ und des „Rechten Sektors“ zu. Zwar sind die Darstellungen, nach denen es sich bei der Maidan-Bewegung im Ganzen um Faschisten handelt sicherlich übertrieben. Dennoch gelang es ihnen die anderen politischen Kräfte vor sich herzutreiben und ihre eigenen Parolen und Forderungen innerhalb der Bewegung durchzusetzen. Indem sie gleichzeitig linke Kräfte, die anfangs noch versuchten eine antikapitalistische Perspektive in die Proteste zu tragen, gewaltsam vertrieben und am entschlossensten Verteidigung und Angriffe gegen die Polizeieinheiten organisierten, konnten sie sich als die vermeintlich einzige radikale Oppositionsgruppierung in der Bewegung etablieren.
Ihre zutiefst reaktionäre Gesinnung ist dabei von Anfang an deutlich gewesen: Die parlamentarisch ausgerichtete „Swoboda“ ist nationalistisch und rassistisch und hetzt ganz offen „gegen Russen, Polen und Juden“. Nicht nur der Besuch hochrangiger Funktionäre der Partei bei der Landtagsfraktion der NPD in Sachsen belegen ihre Ausrichtung, selbst die Konrad-Adenauer-Stiftung betont ihre „Anlehnung […] an die Ideologie der NSDAP“.
Der „Rechte Sektor“ unterscheidet sich ideologisch kaum von seinem parlamentarischen Pendant „Swoboda“. Er setzt sich aus mehreren extrem nationalistischen und faschistischen Gruppierungen zusammen, u.a. der „Organisation Ukrainischer Nationalisten“ (OUN) die im zweiten Weltkrieg an der Seite der deutschen Wehrmacht und SS gegen die Rote Armee gekämpft und in zahlreiche Massaker an der jüdischen Bevölkerung und Linken verwickelt war. Die Glorifizierung dieser Verbrechen und ihres historischen Anführers Stepan Bandera, ist ein konstituierendes Moment aller ukrainischen Rechten. Genauso wie die paranoide Vorstellung einer ständigen Bedrohungslage der die Ukraine ausgesetzt sei. Die Lebensmaxime des mittlerweile bei einem Machtkampf innerhalb des neuen Regimes von der Polizei erschossenen, ehemaligen Mitglied der Führungsriege des „Rechten Sektors“ Aleksandr Muzychko, bringt dies anschaulich auf den Punkt: „Gegen Kommunisten, Juden und Russen zu kämpfen, solange noch Blut durch meine Adern fließt“.
Die besondere Qualität die der „Rechte Sektor“ im Laufe der Proteste entwickeln konnte, erklärt sich aber aus seinem paramilitärischen Charakter, den er von mehreren seiner Vorläufer-Organisationen quasi geerbt hat: Dies ist der Grund warum der „Rechte Sektor“ nicht nur durch seine erwähnte führende Rolle bei den Straßenkämpfen insbesondere auf junge Menschen große Anziehungskraft ausübte, sondern im Moment des Zusammenbruchs der bisherigen staatlichen Strukturen die Funktion der Ordnungsmacht in Kiew und anderen Städten der West-Ukraine übernehmen konnte. Ihren Einfluss auf die Bewegung geschickt nutzend, gelang es der Organisation ihre Milizen schnell in die extra geschaffene Nationalgarde zu integrieren und über diesen Weg auch direkten Einfluss auf die ukrainische Armee auszuüben.
Nicht nur von Befürworten der Maidan-Bewegung wird immer wieder auf die angeblich dominanten Basis-Strukturen in der „ukrainischen Revolution“ hingewiesen. Tatsächlich haben sich in Kiew schnell verschiedenste Zusammenschlüsse gebildet, die den Widerstand gegen Janukowitsch trugen. Auch die Hundertschaften der sogenannten „Maidan-Selbstverteidigung“ setzten sich bei weitem nicht nur aus organisierten und überzeugten Faschisten zusammen. Nach verschiedenen Quellen waren die direkt „Swoboda“ oder dem „Rechten Sektor“ unterstellten Gruppen sogar in der Minderheit. Die Existenz politisch unabhängiger oder sogar demokratisch-antifaschistischer Kräfte innerhalb der Janukowitsch-Gegner, lässt sich im Umkehrschluss daraus selbstverständlich nicht ableiten. Auch die formal unabhängigen Kampfeinheiten und sonstigen Strukturen, in denen u.a. nationalistisch verhetzte Fußballfans eine wichtige Rolle spielten, schafften es nie eine eigenständige politische Position zu formulieren. Der einzig bekannte Versuch dahingehend, nämlich eine „anarchistische“ Hundertschaft aufzustellen – nicht gegen die rechten Hundertschaften, sondern als Ergänzung zu ihnen (!) – scheiterte am Verbot der Faschisten. Die politische und praktische Führung der Bewegung blieb letztlich die ganze Zeit über bei „UDAR“, Vaterlandspartei, „Swoboda“ und „Rechtem Sektor“.
Sozialabbau, Massaker und Bürgerkrieg
Die Entwicklung in der Ukraine seit Februar umfassend darzustellen, würde den Rahmen dieses Textes eindeutig sprengen. Anhand einiger Schlaglichter, lässt sich die grundsätzliche politische Richtung, die die neue Regierung eingeschlagen hat, aber ganz gut beurteilen.
Schon kurz nach der Machtübernahme, kündigte das Kabinett von Übergangspräsident Jazeniuk Kürzungen der ohnehin schon kargen Renten um bis zu 50 % an. Die Mindestrente beträgt dann nur noch knapp 60 Euro im Monat. Auch 24.000 Angestellten der öffentlichen Verwaltung wurde schon gekündigt. Außerdem wurde, wie im erwähnten EU-Assoziierungsabkommen gefordert, beschlossen die Gas-Preise im Lauf der kommenden drei Jahre um 40 % zu erhöhen.
Das von der neuen Regierung mittlerweile abgeschlossene Abkommen, wird die soziale Lage des Großteils der ukrainischen Bevölkerung noch weiter verschärfen. Durch den Wegfall von Handelsbeschränkungen und die Senkung ukrainischer Zölle um 99,1 % wird das Land beinahe vollständig für EU-Konzerne geöffnet. Die ruinösen Folgen sind aktuell am Beispiel Griechenlands abzulesen.
Wie sehr die Warnungen vor dem Erstarken der Faschisten gerechtfertigt waren, zeigte sich spätestens am 2. Mai in Odessa: Mitglieder faschistischer Gruppen, griffen AktivistInnen des regierungskritischen „Anti-Maidan“ u.a. mit Molotov-Cocktails an und trieben sie in das nahe Gewerkschaftshaus. Nach dem dieses umzingelt war, zündeten es die Faschisten an. 42 Menschen verbrannten an diesem Tag oder wurden bei der Flucht aus dem brennenden Gebäude erschlagen. Selbst vor völlig Wehrlosen, die nachdem sie aus den Fenstern gesprungen waren, mit gebrochenen Knochen auf dem Boden lagen, machte der rechte Mob nicht halt. Was in den westlichen Medien – ohne die Nennung der Täter – schlicht als „Tragödie“ bezeichnet und so verharmlost wurde, war das erste große Massaker ukrainischer Nationalisten seit dem zweiten Weltkrieg.
Auf einer weniger bestialischen Ebene, haben auch die anderen Teile der bisherigen Regierungskoalition ihren reaktionären Charakter bewiesen. U.a. verbot der als Musterdemokrat gefeierte neue Bürgermeister von Kiew, Witali Klitschko, erst im Juli den dortigen „Christopher Street Day“ (CSD).
Auch im Licht solcher Taten muss die, schon zuvor entstandene, Gegenbewegung im Osten und Süden des Landes betrachtet werden. Sie erklärt sich zum einen aus der historischen Tatsache, dass der Osten der Ukraine lange Zeit Teil Russlands war und schon immer eher anti-westlich orientiert war – was sich in der Vergangenheit auch an den Wahlergebnissen ablesen ließ. Darüber hinaus ist diese Bewegung, die in bürgerlichen Medien meist nur als „Agenten Putins“ diffamiert wird, aber äußerst heterogen: Viele befürchten wohl Übergriffe gegen die meist russisch sprechende Bevölkerung durch den „Rechten Sektor“ und Diskriminierung durch die ukrainisch-nationalistische Regierung. Ein Teil der Bewegung will ähnlich wie die Krim in die russische Föderation eingegliedert werden, während ein anderer Teil das Modell der unabhängigen „Volksrepubliken“, wie sie sich in den Großstädten Donezk und Lugansk gebildet haben, befürwortet. Neben erklärten Linken, sind auch russische Nationalisten präsent. Auch die Aktionsformen sind bei weitem nicht nur auf die bewaffnete Verteidigung des errungenen Territoriums beschränkt. Diese war von Anfang an, auch durch zivile Demonstrationen und Streiks, u.a. von mehreren tausend BergarbeiterInnen begleitet.
Der Krieg den die Kiewer Regierung unter Billigung des Westens nun seit Monaten führt, hat nichts von einer behaupteten „Antiterroroperation“. Er ist ein mit schwerer Artillerie, Bombern und Panzerverbänden geführter Krieg gegen die Bevölkerung der Ostukraine!
Nicht nur, aber auch: die Ukraine als Spielball der Imperialisten
Der Sturz der Regierung Janukowitsch, die Etablierung der neuen neoliberal/nationalchauvinistischen Regierung, die Abtrennung der Halbinsel Krim und der andauernde Bürgerkrieg im Osten, ist keine rein innerukrainische und auch keine ukrainisch-russische Angelegenheit. Von Beginn an hatten verschiedene Staaten und internationale Organisationen ihre Finger im Spiel und versuchten – mal mehr mal weniger erfolgreich – das Geschehen ihren (imperialistischen) Interessen entsprechend zu beeinflussen. Die Korruption Janukowitschs, die desaströse soziale Situation oder mangelnde Menschenrechte, waren dabei mit Sicherheit für keine Seite ein Grund aktiv zu werden.
Es lohnt sich die politischen und wirtschaftlichen Interessen der wichtigsten internationalen Akteure, der von der BRD dominierten EU, der USA und Russlands, genauer zu betrachten. In der zugespitzten Situation offenbaren sich hierbei zum Teil deutliche Widersprüche, nicht nur zwischen Russland und den westlichen imperialistischen Ländern, sondern auch zwischen den NATO-Ländern selbst und sogar zwischen den verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klasse innerhalb einzelner Länder.
Die ökonomischen Interessen der EU-Länder, – und etwas eingeschränkt auch der USA – den ukrainischen Markt für EU-Konzerne zu öffnen, spielen zwar eine Rolle, erklären die Dimension des internationalen Konflikts aber nur unzureichend. Denn die Ukraine ist letztlich wirtschaftlich schlicht zu wenig bedeutend. Wichtiger ist da die geographische Lage des Landes zwischen EU-Europa und Russland. Denn Russland ist den führenden imperialistischen Ländern der Nato-Staaten auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein Dorn im Auge geblieben. Zwar kann das Land ökonomisch auf fast keinem Gebiet ernsthaft mit EU- oder US-Konzernen konkurrieren, allein seine Größe und das nach wie vor große militärische Potenzial, machen es aber zu einem nicht nur regional-, sondern auch weltpolitischen Gegengewicht zur USA und EU. Den russischen Einfluss zu begrenzen und durch die Integration von immer mehr Anrainerstaaten in die NATO, ein militärisches Bedrohungsszenario zu schaffen, ist strategisches Ziel der westlichen Imperialisten.
Anders als die USA, die dieses Ziel ziemlich uneingeschränkt verfolgen, ist die Haltung der herrschenden Klasse in der EU und insbesondere Deutschlands widersprüchlicher: Denn die BRD ist nicht nur zu etwa 35% von russischen Erdgaslieferungen abhängig, zumindest für einen Teil des deutschen Kapitals ist Russland auch als Investitionsstandort und Absatzmarkt wichtig geworden. Für diese Fraktion ist das Russlandgeschäft so wichtig geworden, dass sie auch die (maßvolle) Konfrontation mit dem momentan dominierenden Teil der Kapitalistenklasse nicht scheut, die sich weiterhin größeren Profit von der Zusammenarbeit mit den USA verspricht.
Das wurde zum Beispiel deutlich, als mitten im Prozess der Loslösung der Krim von der Ukraine, als hiesige Politiker und Medien erstmals die Forderungen nach Sanktionen gegen Russland erhoben, Siemens-Chef Kaeser höchstpersönlich Putin traf. Trotz großem Aufschrei, folgte ihm nur wenig später der rechte CDU-Politiker Philipp Mißfelder nach Moskau und auch der sogenannte „St. Petersburger Dialog“ – ein hinter verschlossenen Türen tagender ThinkTank – konnten Ende Mai unter Beteiligung zahlreicher deutscher Banken und Großkonzerne stattfinden.
Die unmittelbaren Interessen Russlands sind demgegenüber deutlich einfacher. Da die russische Industrie auf dem Weltmarkt – außer im Energiesektor – nicht mit den europäischen, amerikanischen oder asiatischen Konkurrenten mithalten kann, ist sie neben dem großen eigenen Binnenmarkt, auf [stärker] die Absatzmärkte in der unmittelbaren Einflusssphäre angewiesen. Eine EU-Anbindung der Ukraine würde dies untergraben. Zum anderen geht es Russland aber, diametral zu den militärischen Einkreisungsbemühungen des Westens, darum die Existenz von Nato-Ländern oder mit der Nato verbündeten Staaten unmittelbar an den eigenen Grenzen zu verhindern. Dass es sich dabei nicht nur um hypothetische Befürchtungen handelt, ergibt sich aus dem EU-Assoziierungsabkommen, dass auch eine engere militärische Kooperation der Ukraine mit der EU vorsieht.
Was mit Sicherheit nur in der russischen Propaganda eine Rolle spielt, ist der angebliche Antifaschismus der russischen Regierung: Der Verweis auf die zentrale Rolle von Faschisten in der Maidan-Bewegung und ihrer zahlreichen Verbrechen bisher, ist zwar richtig und angesichts des Verschweigens dieses Phänomens in westlichen Medien, auch legitim. Mit echtem antifaschistischen Bewusstsein hat dies aber nichts zu tun. Dagegen spricht einerseits der Umgang mit der extremen Rechten in Russland selbst: Dort existiert seit Jahren eine offen faschistische Szene, die in ihrer Größe, ihrem Organisierungsgrad und ihrer Gewalttätigkeit in den letzten zehn Jahren in Europa traurige Berühmtheit erlangen konnte. Zahlreiche Morde, zum Teil „professionelle“ Exekutionen politischer GegnerInnen, Hetzjagden auf meist asiatische MigrantInnen und homophobe Ausschreitungen gehen auf ihr Konto. Mit paramilitärischen Verbänden und einem unmittelbaren positiven Bezug auf den historischen deutschen (!) Faschismus, ähneln sie dabei den Maidan-Kämpfern des „Rechten Sektors“ übrigens frappierend. Die staatliche Reaktion auf diese Umtriebe war in der Vergangenheit weitgehend von Verharmlosung und Inaktivität gekennzeichnet – woran auch sporadische Organisationsverbote nichts änderten.
Andererseits ist die russische Innenpolitik selbst häufig von nationalistischer, rassistischer und homophober Hetze gekennzeichnet und weist zumindest mit einem autoritären, stark auf die Person Putins reduzierten Staatsverständnis in einigen Aspekten faschistoide Züge auf. U.a. verbot Putin, als Reaktion auf einen Pogrom gegen kaukasische Händler, dass Nichtrussen auf öffentlichen Märkten waren anbieten dürfen.
Dritter Weltkrieg?
Die sich seit Monaten zuspitzende Konfrontation zwischen der EU und den USA auf der einen Seite und Russland auf der anderen, offenbart letztlich wie sehr die andauernde kapitalistische Krise die politischen Widersprüche zwischen den imperialistischen Blöcken verschärft. Trotz militärischer Muskelspiele des Westens, z.B. der NATO-Übung Baltops mit 4.700 Soldaten in der Ostsee, die diesen Konflikt auch außerhalb der Schlachtfelder der Ostukraine untermalen, steht ein unmittelbarer kriegerischer Schlagabtausch aktuell kaum bevor. Die Sanktionen gegen russische Politiker und Firmen, die Dämonisierung Putins und der Aufständischen im Osten, haben eher die Funktion längerfristig ein politisches Klima zu erzeugen, dass es ermöglicht noch härtere Maßnahmen durchzusetzen und potenzielle Bündnispartner Russlands einzuschüchtern.
Das tut der einseitigen Berichterstattung und kaum verhohlenen Kriegshetze in bürgerlichen deutschen Medien allerdings keinen Abbruch: Während immer neue und härtere Sanktionen gefordert werden und die völlig unbewiesene Lenkung der Aufständischen im Donbass durch Russland, mantra-artig wiederholt wird, werden Massaker der Regierungseinheiten, die Anwesenheit von US-Söldnerfirmen und die militärischen Vernichtungsphantasien des Kiewer Regimes verschwiegen. Genauso unerwähnt bleibt, dass der Aufstand im Donbass nicht nur eine bewaffnete Komponente hat, sondern auch mit Streiks von BergarbeiterInnen oder zivilen, friedlichen Blockaden gegen das Vorrücken der Regierungsarmee verbunden ist. Politiker von CDU, SPD und Grünen wird eine Plattform geboten, die direkte Aufrüstung der Regierungsarmee und sogar „militärische Konsequenzen“ fordern. Dass sich diese „Konsequenzen“ selbstverständlich gegen Russland zu richten haben, schwingt mal untergründig mit oder wird wie bei der Europaabgeordneten Rebecca Harms, die absolut keine Gelegenheit auslässt eine militärische Intervention zu fordern, ganz offen ausgesprochen. Auch wenn ein solcher Schlag momentan unwahrscheinlich ist; nicht nur wird der aktuelle Bürgerkrieg hierdurch angeheizt, sondern es wird auch dauerhaft ein anti-russisches Feindbild etabliert und bleibt daher verbale Kriegstreiberei!
Gegen Kriegshetze und Faschisten – internationale Solidarität aufbauen!
Die Aggressivität, mit der zuerst die Absetzung des nicht kooperierenden Jaunkowitsch-Regimes unterstützt wurde, um dann nahtlos massiven Druck gegenüber Russland auszuüben, ist einerseits Ausdruck des im Laufe der kapitalistischen Krise gewachsenen ökonomischen – und damit auch des gesteigerten politischen Gewichts – des deutschen Kapitals. Sie ist zum anderen aber auch Ergebnis der in der selben Krise vergrößerten Differenzen zwischen den verschiedenen imperialistischen Blöcken, die immer weniger dazu in der Lage scheinen diese diplomatisch zu lösen.
Es kann daher nicht darum gehen, sich im Konflikt in und um die Ukraine auf Seiten eines dieser Blöcke zu positionieren. Für die revolutionäre Linke in der BRD gilt es vielmehr solidarisch mit der großen Mehrheit der Bevölkerung der Ukraine zu sein, die objektiv kein Interesse an Bürgerkrieg, Sozialabbau und faschistischem Straßenterror hat. Sowie den Kampf gegen den „eigenen“ Imperialismus zu führen, dessen heuchlerische Kriegspropaganda entlarvt und bekämpft werden muss. Die Stärkung antimilitaristischer Strukturen ist daher unabdingbarer Teil internationalistischer Solidarität.
Ganz konkret gilt es diejenigen politischen Kräfte die unter häufig lebensgefährlichen Bedingungen antifaschistisch aktiv sind und Widerstand gegen die neoliberal-reaktionäre Regierung organisieren, zu unterstützen. Dieser Widerstand wird von verschiedenen linken, anarchistischen, sozialistischen und kommunistischen Gruppen und Zusammenhängen getragen. Eine der wenigen Gruppierungen deren Aktivitäten unter den erschwerten Bedingungen auch hier wahrgenommen werden können, ist die kleine linke Organisation „Borotba“: Ein Zusammenschluss mehrerer revolutionär kommunistischer Strukturen, der durch die Kritik an der offiziellen Politik der „Kommunistischen Partei der Ukraine“, die lange mit der alten Janukowitsch-Riege kooperiert hatte, entstanden ist und jetzt ganz besonders im Fadenkreuz der Repression und des faschistischen Terrors steht. Auch wenn die AktivistInnen dieser und anderer Organisationen den Entwicklungen momentan häufig sicher relativ machtlos gegenüberstehen, gilt ihnen und allen anderen kämpfenden und verfolgten AntifaschistInnen unsere vollste Solidarität!
Den Widerstand gegen den Kriegshetze und faschistischen Terror organisieren!
Hoch die internationale Solidarität! Für den Kommunismus!
Kasten:
…Wenn Solidarität verweigert wird
Die Situation in der Ukraine hat in Teilen der deutschen Linken zu einiger Verwirrung geführt. Deutlich wurde dies, als die Rote Hilfe eine Kampagne zur Unterstützung von verfolgten ukrainischen AntifaschistInnen startete und sich daraufhin mit einer Reihe von Vorwürfen konfrontiert sah: Die Rote Hilfe würde „autoritäre StalinistInnen“ oder sogar ganz allgemein „Rechte“ unterstützen. Die Vorwürfe beziehen sich auf Erklärungen mehrerer ukrainischer Gruppen gegen die „Kommunistische Partei der Ukraine“ (KPU) und insbesondere gegen die linke Organisation „Borotba“ (übersetzt: „Kampf“). Allerdings sagen sie weniger über die konkrete Politik der kritisierten Strukturen aus, als über diejenigen Teile der deutschen und ukrainischen Linken, die diese Entsolidarisierung betreiben.
Denn angesichts von bewaffneten Faschisten, die zumindest Teile des Repressionsapparates kontrollieren, bedeutet jede Verweigerung von Solidarität noch mehr als sonst Schwächung der bitter nötigen antifaschistischen Kräfte. Es ist eine nicht zuletzt aus der Erfahrung mit dem historischen Faschismus gewonnene Erkenntnis, dass unterschiedliche politische Analysen, spätestens angesichts der Konfrontation mit den Reaktionären in den Hintergrund zu treten haben.
Um dies zu verschleiern, wird immer wieder versucht, „Borotba“ – immerhin die einzige Organisation die aus der Entfernung wahrnehmbaren antifaschistischen Widerstand leistet – in die Nähe von „Rechten“ aller Art zu rücken. Auffällig ist dabei, dass eine rechte Gefahr von den AutorInnen der Distanzierungserklärungen scheinbar nur in Russland oder in den russischsprachigen Gebieten der Ostukraine gesehen werden. Die offensichtlichen Faschisten, die massenhaft auf dem Maidan mit Bandera-Portraits, SS-Runen und dem Ruf „Ruhm der Ukraine! – Ruhm den Helden! [den gefallenen Nazikollaborateuren, P.K]“ in Erscheinung traten und nie einen Hehl aus ihrer Gesinnung machten, sind in diesen Erklärungen keine Erwähnung wert. Diese Nichterwähnung der realen Nazis, bedeutet für sich genommen schon eine gefährliche Relativierung, die objektiv schon den Reaktionären in die Hände spielt. Diese Haltung erklärt sich aber zumindest bei einem Teil der beteiligten Gruppierungen durch ihre Praxis: So gab beispielsweise die „Autonomous Worker Union“ schon im Januar bekannt, dass sie „Nischenaufgaben“ für die Maidan-Bewegung erfüllen würde. Unter anderem das Bewachen von verletzten Kämpfern und die Essensversorgung – wohlgemerkt ohne sich als Linke erkennen zu geben oder sich gar in Konfrontation mit den Rechten zu begeben. Wer aber die eigene linke oder revolutionäre Identität verleugnet und mit Faschisten in einer Reihe steht, betreibt Querfrontpolitik – bis hin zur völligen Selbstaufgabe als linke Struktur.
Es ist richtig, dass sich in der Maidan-Bewegung wieder einmal die zentrale Rolle der politischen Aktivität auf der Straße bewahrheitet hat. Die Straße ist nach wie vor der Ort an dem politische Gegenmacht entsteht und greifbar wird. Diese Gegenmacht muss jedoch – bei entsprechender Schwäche der Linken – nicht unbedingt fortschrittlichen Charakter haben. Daher muss der Kampf um die Straße immer auch gegen reaktionäre Elemente aller Art geführt werden und darf unter keinen Umständen mit taktischen Bündnissen mit offenen Reaktionären einhergehen. Auch dann nicht wenn die Feinde – wie bei dem Janukowitsch-Regime zweifellos der Fall – auf den ersten Blick die selben sind. Denn wo solche Bündnisse eingegangen werden, rückt die Perspektive einer – von jeglicher kapitalistischer Unterdrückung – befreiten, klassenlosen Gesellschaft in den Hintergrund. Und eine andere Form der bürgerlich-kapitalistischen Unterdrückung – in diesem Fall die faschistische Barbarei – wird zumindest in Kauf genommen.